Der Untertitel ‚Die Wanderung mit Offenem Herzen‘ ist vielleicht die genaueste Beschreibung von Andrei Platonows Roman, der sich einer literarischen Kategorisierung weitgehend entzieht. Der Roman zeigt uns mit der südrussischen Steppe zur Zeit des Bürgerkriegs um 1918 nicht nur eine Welt, die uns selbst völlig fremd ist; wir schauen auch durch fremde Augen in diese Welt, durch die Augen seiner Helden, denen die Revolution mehr geschieht, als dass sie an ihr beteiligt sind. Die kindlich-naiven Züge von Platonows Sprache, in denen sich die Sehnsucht und die Hilflosigkeit seiner Figuren im Anbruch einer neuen Zeit ausdrückt, verschleiern leicht die lyrisch-avantgardistische Qualität, die das Buch in vielen Passagen hat. So ist das Gefühl des schroffen Steppengras auf nackten Fußsolen durchwebt von einem techno-utopistischen Bewusstsein, wie es auch in den Filmen Dsiga Wertows zu spüren ist.
Frank Castorfs Inszenierung begegnet diesem Ausgangsmaterial mit einigem Furor, sodass sich die Spielenden in Aleksandr Denics imposantem Bühnenbild erst gegenseitig zur revolutionären Euphorie aufschwingen und sich dann auf ihrer Welle tragen lassen und zeitweise auch von ihr mitgerissen werden. Oft wechselt dabei unser Blick von der Bühne zu den im Bühnenbild integrierten Leinwänden, die uns einen Einblick in dessen Inneres verschaffen, manchmal sogar hin und her, wenn Bühnengeschehen und Live-Filmszenen im Innern mit einander korrespondieren.
Die Inszenierung folgt dabei keinem am Reißbrett entworfenen Konzept. Vielmehr ist sie im Laufe des Prozesses aus dem Moment heraus komponiert, aus der Dynamik, die sich zwischen allen Beteiligten, Spielenden und Regie, Kameraleuten und Schnitt, Ton und Bühne, während der Proben ergibt. Die so entstehende Collage aus einer Vielzahl von Textfragmenten, Bühnenbild, unmittelbarem Spiel, live entstehenden Filmszenen, eigens für das Stück produzierten kurzen Filmen, und dem ein oder anderen Stück Archivmaterial erzeugen eine beachtliche Energie, die dennoch nicht die charakteristische Melancholie von Platonows Erzählung verliert - wie in diesem Moment, in dem es plötzlich sehr still ist, und Astrid Meyerfeldt als Sascha Dwanow mit heiserer Stimme fragt: ‚Ob das hier eine große Sache ist?‘
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eingeladen zu
Wiener Festwochen 2016 -
fürSchauspiel Stuttgart
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mitSandra Gerling
Johann Jürgens
Katharina Knap
Horst Kotterba
Matti Krause
Manja Kuhl
Andreas Leupold
Astrid Meyerfeldt
Wolfgang Michalek
Hanna Plaß -
RegieFrank Castorf
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BühneAleksandar Denic
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KostümAdriana Braga Peretzki
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Video
Live-SchnittDavid Wesemann -
Live-KameraTobias Dusche
Daniel Keller -
Fotos © Thomas Aurin